aus der Zeit - Autorenkürzel IVAL
Zukunft Kunst, was ist heute noch subversiv?
Zeit-online, www.zeit.de/2009/35/subversiv-ueberblick, Autorenkürzel ival, Name nicht benannt.
"Junge Künstler polemisieren mit Schwung gegen das Angepasste, doch die Zeit der großen Utopien ist vorüber. Das zeigt das Festival Subvision in Hamburg. Die kunstgeschichte des 20. Jahrhunderts ist eine Geschichte der Subversion. Die Museen abfackeln! Die Opernhäuser sprengen! Die Welt zur Bühne machen! Das war der Traum vieler Künstler. Nichts Geringeres hatten sie vor, als Kunst und Leben zu einem neuen Glück verschmelzen. Und immer neue Künstler kamen und versuchten sich an diesem Glück. Ob Dada, Surrealismus oder Fluxus – sie alle wollten die Verhältnisse zum Kippen bringen. Subversion hieß: das herrschende System unterwandern, es mit allen Mitteln der Kunst bekämpfen.
Und heute? Was können die Musiker, Schauspieler, die Schriftsteller und Künstler noch ausrichten? Was bedeutet Subversion in einer Zeit, in der sich das System selbst unterwandert hat? In der die Verhältnisse so instabil sind wie schon lange nicht mehr – und sich doch nichts verändern will? Was heißt es, wenn alle von Krise reden, vom Ende der neoliberalen Überheblichkeit – aber niemand zu sagen vermag, was denn die Alternative zum Kapitalismus wäre? Die subversive Avantgarde von einst konnte noch von der klassenlosen Gesellschaft träumen, wo aber ist die Utopie des Jahres 2009?
Viele der subversiven Künstler wollen keine Werke, keine Produkte abliefern, die sich vermarkten und vereinnahmen ließen, und entscheiden sich deshalb lieber gegen Malerei und für Aktionismus und das Prozessuale. Allerdings schützt sie das keineswegs vor Vereinnahmung. längst gibt es eine Subversion der Subversion, von Großkonzernen betrieben. sie legen sich nicht nur eigene Sammlungen zu, sondern imitieren auch die Künstlerstrategien des Intervenierens und Camouflierens. ganz im Stil einer Off-Galerie betreiben adidas oder comme des garçons sogenannte guerilla-stores, Läden ohne Ladenschild in einer verlassenen Autowerkstatt oder Schlachterei, in denen dann die Hemden vom Fleischerhaken baumeln und die Schuhe auf Europaletten stehen – damit die eigenen Luxusprodukte schön authentisch erscheinen. noch weiter treibt es der Nike-Konzern, der in Australien sogar Anti-Nike-Demonstrationen organisierte, um weiterhin gut bei seiner Zielgruppe anzukommen, die nichts mehr schätzt als die Aura der Dissidenz. Im Vergleich dazu wirken Aktionen wie der Kunst-Imbiss in Hamburg doch recht handzahm.
Die Subversion hat sich in eine Art lifestyle verwandelt. Und während sich früher die subversiven Künstler gern als lästige Parasiten verstanden, die dem Wirtskörper des Kapitalismus kräftig zusetzen, kehren sich heute die Rollen um. So haben auch die Festival-Künstler in Hamburg den Strandkai keineswegs erobert, nein, sie wurden eingeladen, und ihr Festival wird von vielen Großunternehmen unterstützt, nicht zuletzt von der Hafencity GmbH. Nur zu gut passt die temporäre, ereignisgetriebene Kunst des Subversiven ins Eventkonzept der Stadtvermarkter. Ja, sie sehnen sich geradezu nach dem Spontihaften und Kritischen, um so das weithin öde Quartier zu bespielen und die eigene Weltoffenheit zu demonstrieren.Perfider noch: indem die Künstler es auf die Destabilisierung der Verhältnisse anlegen, feiern sie zugleich den Zustand der Hafencity, denn dieser ist genau das – destabil. Niemand weiß, wie es im Hafen weitergeht, ob sich das neue Quartier je beleben wird. Im Licht der Kunst scheint diese ungewissheit geradezu nobilitiert. Durch ihre Beunruhigung wirken die Künstler beruhigend.
Was aber bleibt ihnen dann noch, wenn ihr Dagegensein immer schon dazugehört? Und sich die Formen der Widerständigkeit immer schneller verschleißen? Gestern galt es noch als subversiv, sich bluttriefend über Bühnen oder Leinwände zu wälzen; heute gähnt das Publikum. Im »Mainstream der Minderheiten« (Tom Holert) reicht es eben nicht mehr aus, nur anders zu sein, um anders zu sein, die Provokationsschraube weiter anzuziehen oder ein wenig die Wahrnehmungsgewohnheiten zu irritieren. All diese Formen des off sind heute on – nur hohle Gesten. Es sei denn, die Künstler begnügten sich nicht damit, allein um Form- und Strategiefragen zu kreisen. und sie ließen ihre ästhetische wie ihre politische Fantasie wieder spielen.
Denn Beides muss zusammenkommen, damit die Kunst subversiv wird: sie entsteht nur in der heiklen Balance aus künstlerischem Eigensinn und politischem Drängen. Im Hintergrund der Kunst muss etwas aufleuchten, das von einer Alternative kündet, von einer gesellschaftlichen Gegenwelt. Solange das nicht gelingt, solange es an Utopien mangelt, wird subversive kunst kaum mehr sein als selbstverliebte Folklore. ein großer Spaß für alle, ohne große Folgen." IVAL